
NRW plant aufgrund der aktuellen Notwendigkeit, die Einführung eines Epidemie-Gesetzes-NRW, mit dem massiv in die bestehende Rechtsstruktur und das geltende Recht eingegriffen werden soll. Ziel des Gesetzes ist es, die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems im Bereich der stationären Versorgung sicherzustellen. Aus diesem Grunde sollen neue Regelungen geschaffen und bestehende Regelungen geändert werden, wozu ein Spagat zwischen den freiheitlichen Grundrechten auf der einen Seite und Zwangs- und Verbotsvorschriften zum Schutz der Gesundheit jedes Einzelnen und der Allgemeinheit auf der anderen Seite herzustellen ist.
Es geht um nichts Geringeres als die Frage, wie weit können, dürfen und müssen unsere Grundrechte, die nach der Landesverfassung und nach dem Grundgesetz garantiert sind, eingeschränkt werden, wann darf der Landesgesetzgeber tätig werden und insbesondere wer soll dann entscheiden? Soll und darf die Landesregierung ermächtigt werden, am Parlament vorbei Entscheidungen zu treffen oder steht dem Art 80 I GG entgegen? Hierfür wird am Montag, den 6.4.2020 eine Anhörung im Landtag durchgeführt, zu dem zahlreiche Experten aus allen Gebieten gehört werden.
Bereits die Frage, ob und in welchem Umfang der Landtag gesetzgeberisch tätig werden darf, führt zu erheblichen Rechtsfragen, denn zum einen ist der Bundestag durch sein „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ tätig geworden, so daß in bestimmten Bereichen aufgrund konkurrierender Gesetzgebung NRW als Bundesland nicht mehr tätig werden darf. Zum anderen stellt sich in § 11 des geplanten Epidemie-Gesetzes-NRW, die Frage, ob ausreichend bestimmt definiert wurde, wann der Landtag tätig werden darf. Nach dem
Gesetzesentwurf darf er dies nach der 2. Alternative nur dann, wenn er aufgrund „einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit im Land eine epidemische Lage von landesweiter Tragweite feststellt“. Aber, ist bereits diese Regelung weit genug? Oder muß sie nicht schon früher ansetzen, dann nämlich, wenn bereits im Ausland (etwa in einem unserer Nachbarländer) eine solche epidemische Lage vorliegt, die dann (über kurz oder lang) konkrete Auswirkungen auf NRW haben wird? - Es wird also Montag zu klären sein, ob die Definition der „epidemischen Lage“ zum Schutz der Bürger ausreichend bestimmt ist, oder ob die Abgeordneten das Gesetz nicht ausweiten müssen oder sollten und verfassungsrechtlich dürfen, weil ein Virus gerade keine nationale Grenze kennt.
Eine weitere Frage wird sich mit den vorgesehenen Eingriffen in die Hochschulfreiheit beschäftigen aber auch mit dem Grundrecht auf Bildung. Das Recht auf Bildung ist in Artikel 28 der Kinderrechtskonvention verankert, an die wir völkerrechtlich gebunden sind; ebenso sieht aber auch unsere Landesverfassung in Art 8 I vor: „Jedes Kind hat Anspruch auf Erziehung und Bildung.
Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, bildet die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens.“ - Wie weit dürfen Eingriffe, wie die Schließung der Schulen, etc. gehen und wo sind die Grenzen? Sind solche Grenzen bereits in einem solchen Gesetz vorzusehen, indem es zeitlich befristet wird (was für sämtliche Bestimmungen gilt)? Oder werden die Ministerien ermächtigt, ohne weitere Zustimmung des Landtages, entsprechende Regelungen im Verordnungswege zu treffen? Verliert das Parlament damit einen Teil der demokratisch legitimierten Aufgabe und werden die Rechte der Exekutive zu weit ausgedehnt? Anhand dieses Beispiels wird deutlich, worum die Abgeordneten am Montag ringen werden, um einen Spagat zwischen der Verfassung, den Grundrechten der Bürger und den Befugnissen des Landtags
und den im Pandemie-Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen einer effektiven Verwaltungs- und Ministerialtätigkeit zum Schutz der Gesundheit aller Bürger.
Natürlich, und das soll hier auch angesprochen werden, ist die Frage zu klären, ob die Regelungen im Entwurf des Pandemie-Gesetzes nach §§ 11 und 15 zulässig sind und politisch gewollt sind? – Nämlich die Verpflichtung zum zwangsweisen Einsatz von medizinischem und pflegerischen Personals in § 15. Von den Juristen wird zum Teil vertreten, dass dies als Ultima Ratio zulässig sei,
jedoch sollte darüber der Landtag und nicht der Gesundheitsminister entscheiden. Von einem anderen Teil der Juristen wird diese Regelung als verfassungswidrig abgelehnt. Die Frage, die sich doch stellt ist, braucht man eine solche weite Zwangsregelung überhaupt und ist sie verhältnismäßig? Wäre es nicht sinnvoller und effektiver – wie jetzt auch praktiziert –auf freiwillige und kooperative Zusammenarbeit mit dem medizinischen und pflegerischen Personal und ihren Arbeitgebern zu setzen. Diesen Standpunkt vertrete ich, so daß es der Regelung in § 15 gar nicht bedarf. Denn letztlich haben auch die letzten Wochen gezeigt, dass wir eine solche gesetzliche Regelung in unserem Gemeinwesen gar nicht benötigen, denn die Solidarität des medizinischen und pflegenden Personals ist 100%ig vorhanden. Eine zwangsweise Verpflichtung ist daher weder notwendig noch verhältnismäßig. Das waren nur einige Beispiele. Die an der Anhörung teilnehmenden Abgeordneten des Landtags werden am Montag ganztägig zu allen gesetzlichen Bestimmungen, die das Epidemie-Gesetz vorsieht, die entsprechenden Fragen stellen und versuchen, die von den Sachverständigen gegeben Antworten dann bis Donnerstag so in ein Gesetz einzuarbeiten, damit eine breite Mehrheit des Landtages dem Pandemiegesetz zustimmen wird.
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